„Der Schutzpatron von Oikocredit ist Martin Luther King“

„Der Schutzpatron von Oikocredit ist Martin Luther King“

Bischof Michael Bünker.jpg16. Oktober 2023

Der evangelische Alt-Bischof Michael Bünker über globale Gerechtigkeit, die Entstehung von Oikocredit und ehrenamtliches Engagement.

Seit seiner Studienzeit in den 1970-er Jahren ist Michael Bünker, er war von 2008 bis 2019 Bischof der Evangelischen Kirche in Österreich, ein engagierter Vorkämpfer für mehr globale Gerechtigkeit. Die Entstehung und Entwicklung von Oikocredit hat er von Anfang an mitverfolgt. Im Interview befragt Reinhard Maier, der sich ehrenamtlich für Oikocredit Austria engagiert, dazu.

Sie setzen sich ein für faires Wirtschaften, faire Geldanlagen. Weshalb? Gibt es da eine persönliche Vorgeschichte?

Ich erinnere mich noch gut, wie diese Idee von Oikocredit, damals hieß es nur EDCS (Ecumenical Development Cooperative Society, Ökumenische Entwicklungsgenossenschaft) Mitte der 1970-er Jahre durch den Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf realisiert worden ist. Schwerpunkt waren Mikrokredite, damals ein neuer Weg, um Menschen im benachteiligen Globalen Süden zu wirtschaftlicher Selbstständigkeit zu verhelfen, sie nicht zu Empfänger*innen von Almosen zu machen, sondern ihnen zu ermöglichen, dass sie selber wirtschaften können. Das war etwa zur selben Zeit, in der auch der Ökonom und spätere Nobelpreisträger Muhammad Yunus mit Mikrokrediten begonnen hat.

Wie wurde das damals in Österreich aufgenommen?

Unsere (evangelische) Kirche war damals skeptisch gegenüber den weltweiten ökumenischen Initiativen. Aber da gab es eine sehr engagierte Gruppe, die sogenannte Salzburger Gruppe, die ein bisserl in Opposition war zur damaligen Kirchenleitung, besonders beeinflusst von Universitätsprofessoren wie Wilhelm Dantine, Kurt Lüthi und anderen. Die haben diese Idee aufgegriffen und sagten, wir bräuchten in Österreich so etwas wie einen Förderkreis für EDCS, aus dem später Oikocredit wurde.

Was uns beeindruckt hat, war, dass es eine Möglichkeit ist – für Pfarrgemeinden, Einzelpersonen, Einrichtungen, Kirchen – sich an einem gerechten Wirtschaftssystem weltweit zu beteiligen. Spendenaktionen für den Globalen Süden waren zu der Zeit ja in aller Munde, für die „Dritte Welt“, Biafra, Indien. Aber das waren Spenden.

Oikocredit ist etwas völlig anderes als Spenden?

Genau. Was mir besonders gefallen hat, nachträglich, war, dass die Entstehung von Oikocredit eigentlich zurückgeht auf eine Referenz an Martin Luther King. Der sollte ja beim Eröffnungsgottesdienst der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Juli 1968 in Uppsala (Schweden) predigen, wurde aber vier Monate zuvor ermordet. Die in Uppsala versammelten Vertreter*innen der Kirchen haben überlegt, wie sie sein geistiges Erbe weltweit umsetzen können. Da war klar, es musste etwas sein, das zu Gerechtigkeit beiträgt. Der Schutzpatron von Oikocredit ist, wenn man so sagen will, Martin Luther King. Er hatte einen globalen Blick des Christentums, war gegen den Vietnamkrieg, für soziale Gerechtigkeit. Und das alles aus einer tiefen, in der Bibel begründeten Frömmigkeit heraus.

Sie selbst sind auch Anleger bei Oikocredit. Was ist das für ein Gefühl?

Schon ein sehr gutes. Es ist eine faszinierende Idee, die sich als nachhaltig erwiesen hat. Einmal war ich für eine kurze Zeit in Ghana und habe erlebt, wie wirksam, wichtig und gut es ist, diese kleinbäuerlichen Strukturen, die hauptsächlich auch von Frauen getragen werden, zu fördern. Das ist etwas Grundvernünftiges, keine Träumerei von Weltverbesserung. Die Menschen so zu stärken, dass sie von ihrer eigenen Arbeit sich und ihre Familien ernähren können, das halte ich angesichts der steigenden Zahl von Hungernden weltweit und der wirtschaftlichen Krise, in der wir uns befinden, für etwas ganz zentral Wichtiges. Nicht nur aus christlichem Glauben heraus, sondern aus Vernunft, aus globaler Vernunft.

Oikocredit arbeitet mit Geld, in der Bibel ist es auch als Mammon verrufen. Passt das zusammen: Biblische Frohbotschaft und Geld als Lösung für Probleme in der wirtschaftlichen Entwicklung?

Na ja, Oikocredit ist sicher keine Geldvermehrungsmaschine. Weder sind die Dividenden so attraktiv, dass gewinngierige Investor*innen bei Oikocredit zu finden wären. Und auf der anderen Seite sind die Kreditbedingungen so, dass es die Kreditnehmer*innen nicht ruiniert. Einige Mikrokreditorganisationen sind ja in die Kritik geraten, weil sie unverschämte Zinsen verlangen. Das tuen die von Oikocredit finanzierten Partnerorganisationen nicht. Sie halten ein gutes, gesundes Maß. Das halte ich für sehr wichtig.

Und wie ist das mit der Bibel?

Natürlich, die Jesusbewegung war eine geldlose Bewegung. Jesus hatte nichts bei sich. Judas war der mit dem Geld, und es ist auch kein Zufall, dass er es ist, der dann zum Feind abgestempelt wird. Gleichzeitig aber sagt Jesus an einer Stelle „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon“. Das heißt nicht, dass wir uns mit dem Mammon anfreunden sollen, sondern wir sollen Beziehungen stiften, wenn es sein muss auch übers Geld. Da sehe ich Oikocredit schon auch auf einer biblischen Basis.

Die Verbreitung der Idee von Oikocredit war und ist sehr stark vom freiwilligen Engagement getragen. Was macht Ehrenamt so kraftvoll?

Eine der Wurzeln von dem, was heute Ehrenamt genannt wird, finden wir im antiken Griechenland, in der griechischen Stadt. Hier war es klar, dass die besitzenden Männer, die die Demokratie gebildet haben – Frauen und Sklaven hatten nichts mitzureden – sich nicht nur um ihre eigenen Angelegen­heiten zu kümmern haben, sondern immer auch um das Ganze, um die Polis, die Stadt. Sie hatten eine politische Verantwortung. Wer das nicht getan hat, war nicht ein stiller Bürger, sondern ein schlechter Bürger. „Idiotes“ nennt Perikles jene, die sich nur um sich selber und ihre eigenen Interessen kümmern.

Oikocredit zu unterstützen heißt für Sie somit, politische Verantwortung zu übernehmen?

Ich sehe das Engagement für Oikocredit als eine Fortsetzung dieser Idee. Man will nicht, dass die globalen Ungerechtigkeits-Zusammenhänge, die wir alle kennen, so bleiben, wie sie sind. Wir wissen ja alle, dass unser Wohlstand hier auf der Armut dort beruht. Dass man das nicht einfach hinnimmt, ist ein Zeichen: Ich will nicht ein globaler Idiot sein und nur darauf schauen, wie es bei uns immer so weitergehen kann: Festung Europa und was da für Phantasien in den Köpfen herumgeistern. Sondern ich weiß, das sind meine Nächsten, die jetzt bedroht sind von der Klimakatastrophe und nicht wissen, wie sie die nächste Generation werden ernähren können. Und, dass man dagegen etwas tun muss – hier bei uns, aber vor allem auch dort. Und, dass es am besten dadurch geschieht, dass man den Leuten hilft, sich selber zu helfen. Und das tut Oikocredit. Das halte ich für grundvernünftig, sehr christlich, sehr radikal. Und das ist gut, wenn das Ehrenamtliche machen, weil sie es aus einer Überzeugung heraus tun müssen. Fürs Geld machen sie es nicht. Das ist schon eine Würde, eine Auszeichnung.

Vielen Dank für das Gespräch!

« Zurück