Die Partnerwahl ist erst der Anfang

Die Partnerwahl ist erst der Anfang

IMG_8446.jpg29. Oktober 2019

Der Wunsch nach positiver sozialer Wirkung ist der Grund, warum Menschen sich mit ihrem Geld an Oikocredit beteiligen. Wie wird aus Wunsch und Ziel Wirklichkeit?

Das Interview mit den Oikocredit-Expertinnen Ging Ledesma, Kawien Ziedses des Plantes und Yolirruth Nuñez über Vertrauen und Prüfung, unendliche Arbeit, die Genossenschafts-DNA und Erfolge führte Marion Wedegärtner. Es erschien zuerst im Magazin des Westdeutschen Förderkreises (Ausgabe 3/2019).

Von links: Yolirruth Nuñez (Oikocreditbüro Peru), Ging Ledesma (Direktorin Soziale Wirkung und Innovation, Amersfoort), Kawien Ziedses des Plantes (Referentin Soziales Wirkungsmanagement, Amersfoort)

Was ist soziales Wirkungsmanagement und wie geht das?

Ging Ledesma: Oikocredit ist eine Organisation, die soziale Ziele hat. Wir wollen erreichen, dass benachteiligte Menschen und Gemeinschaften ihre Lebensumstände verbessern können. Wie müssen wir vorgehen, damit wir diese Ziele erreichen? Das war bei Oikocredit die Frage von Anfang an. Erster und wichtigster Schritt für uns ist, die richtigen Partner auszuwählen, mit denen wir zusammenarbeiten. Da sind wir sehr sorgsam. Deshalb haben wir für den Prüfungsprozess (Due Diligence) Instrumente entwickelt wie die ESG Scorecard, anhand derer unsere KollegInnen in den Regionen Umweltverträglichkeit, soziale Leistungsfähigkeit und verantwortungsbewusste Unternehmensführung potentieller neuer Partner bewerten können.

Die Fragebögen, die den Prozess begleiten, sind ein guter Einstieg, um mit den Partnern ins Gespräch zu kommen, sind Grundlage für das folgende Monitoring und helfen uns zu sehen, ob Bedarf an zusätzlicher Unterstützung durch Beratung und Schulungen (Capacity Building) besteht. Im nächsten Schritt überprüft ein Team von AnalystInnen in der Zentrale in Amersfoort den potentiellen Partner und den Finanzierungsantrag. Wenn das Team Fragen oder Bedenken hat, was die soziale Seite des Projekts angeht, gibt es ein rotes Fähnchen. Unser Kreditkomitee diskutiert dann diese Bedenken und wir versuchen gemeinsam zu klären, worum es geht und was zu tun ist.

Was können das für Bedenken sein, die zu weiteren Überprüfungen führen?

Ging Ledesma: Hohe Zinsen für die EndkundInnen in der Mikrofinanz beispielsweise, Mängel in der sozialen Ausrichtung, Besitzverhältnisse, die eine Person mit uneingeschränkter Macht ausstatten.

Capacity Building ist der einzige Bereich bei Oikocredit, der mit Spenden finanziert wird. Ist soziales Wirkungsmanagement ohne Capacity Building überhaupt möglich?

Kawien Ziedses des Plantes: Ja, Partnerorganisationen wie Pro Mujer beispielsweise sind sozial sehr aktive Organisationen. Ihre soziale Ausrichtung ist überzeugend, andere Organisationen bekommen vielleicht schon Unterstützung von anderer Seite, in all diesen Fällen brauchen wir keine Maßnahmen zu ergreifen. Dabei rede ich jetzt von unseren speziellen Capacity Building-Programmen. Allgemeine Kompetenzförderung kann ohnedies Teil des Alltagsgeschäfts der KollegInnen vor Ort sein.

Ging Ledesma: Wir können nicht alle Partner mit unseren Capacity Building-Programmen unterstützen, wir müssen Prioritäten setzen. Das Wissen darüber, ob Bedarf besteht, bekommen wir über die Auswertung von Daten, aus direkten Befragungen, über die KollegInnen vor Ort. Denn die kennen die Partner am besten.

Alle Partnerorganisationen werden regelmäßig auf ihre soziale Wirkung hin beobachtet. Wie genau geht das vor sich? Wie sieht es mit der Wirkungsmessung aus?

Yolirruth Nuñez: Während der ersten Überprüfungsphase bei der Auswahl der Organisationen vor Ort bekommen wir schon viele Informationen, die fortlaufend ergänzt und aktualisiert werden. Unsere MitarbeiterInnen, die für die Investments zuständig sind, bewerten die Organisation in Zusammenarbeit mit ihren VertreterInnen anhand zweier Fragebögen, einem zur sozialen Wirkung und einem zur Risikobewertung. In der Monitoring-Phase fragen wir die Partner, welche Daten sie erheben und sammeln, welche sozialen Ziele sie haben und wie sie messen, ob sie sie erreichen. Wenn sie beispielsweise sagen, wir bedienen Menschen mit geringem Einkommen, dann fragen wir, könnt ihr das messen? Wenn sie es nicht können, wäre Teil des Capacity Building, sie mit Messinstrumenten vertraut zu machen wie dem Poverty Probability Index (PPI) beispielsweise. Wenn jemand zu uns ins Büro kommt und Hilfe bei der Anwendung des PPI braucht, können wir selbst mit Beratung und Trainings unterstützen.

Was die Wirkungsmessung angeht, hilft unser sogenanntes Client Outcomes Programme (COP, untersucht die Ergebnisse auf KundInnenbasis) dabei, Daten zur Veränderung von Lebensbedingungen der MikrofinanzkundInnen über einen längeren Zeitraum zu erheben. In den letzten Jahren haben wir mit diesem Programm die PPI-Daten mehrerer Partnerorganisationen und ihrer KundInnen analysiert.

Das ist die Arbeit vor Ort. Was geschieht im sozialen Wirkungsmanagement in der Hauptgeschäftsstelle in Amersfoort?

Ging Ledesma: In der Mikrofinanz fördern wir Modelle und Instrumente zur Messung der sozialen Leistungsfähigkeit; wir arbeiten mit der „Innovation for Poverty Action“ und „Cerise“ zusammen. Wir haben zur Entwicklung international anerkannter Kundenschutzrichtlinien beigetragen, die unsere Partnerorganisationen im Mikrofinanzbereich befürworten und einführen müssen. Auf dieser Basis lassen wir bei ausgewählten Partnern die sozialen Wirkungen durch unabhängige ExpertInnen analysieren.

Kawien Ziedses des Plantes: Außerdem sammeln und werten wir soziale Indikatoren aus, zum Beispiel wie viele Frauen oder kleinbäuerliche Betriebe unsere Partner erreichen. Die Partner müssen generell einmal im Jahr an uns berichten. Wir sammeln die Daten, vergleichen und werten aus. Momentan arbeiten wir daran, die Daten besser zu filtern und Einzelergebnisse besser extrahieren zu können. Daran mangelt es noch. Bestimmte Capacity Building-Programme werden in Amersfoort entwickelt, wie das Client Outcome Programme beispielsweise, bei dem es weitgehend um Statistik und methodologische Fragen geht. Da sitzen die ExpertInnen in Amersfoort und reisen dann für Schulungen zu den Partnern, die teilnehmen.

Wie könnt Ihr sicher sein, dass die Angaben, die die Partner machen, stimmen?

Yolirruth Nuñez: Bei vielen der Daten, die wir bekommen, müssen wir einfach davon ausgehen, dass sie korrekt sind. Aber da wir umfangreiche Ausgangsdaten aus der Entscheidungsphase haben, regelmäßig neue Daten abfragen und ohnehin engen Kontakt zu den Partnern halten, können wir ganz gut einschätzen, ob die Angaben realistisch sind. Wir vergleichen mit den Vorjahrsdaten. Wenn also jemand bei der Frage nach der Reichweite der Arbeit für das letzte Jahr 40 Prozent KundInnen auf dem Land angibt und im folgenden Jahr 80 Prozent, dann prüfen wir das vor Ort nach. Das ist ja der Grund, warum wir auch viele Organisationen, die Partner werden wollen, ablehnen. Sie präsentieren uns tolle Berichte, sagen, „so und so viele Kredite gehen in die Wohnungsrenovierung, die in die Bildung“, und wenn wir während der Prüfung die MitarbeiterInnen fragen: „Fragt ihr denn die KundInnen, wofür sie den Kredit brauchen?“, und die „No“ sagen, wissen wir, dass da etwas nicht stimmt.

Kawien Ziedses des Plantes: Bei Monitoring-Besuchen schauen wir nicht nur die Präsentation des Managements an, sondern sprechen auch mit den einzelnen Mitgliedern der Geschäftsführung und verschiedenen Angestellten, dadurch erfährt man schon mal mehr und stellt gezielte Fragen.

Was ist mit den KundInnen? Sprecht ihr nur mit denen, die euch vorgeschlagen werden, oder sucht Ihr sie selbst aus?

Yolirruth Nuñez: Diejenigen, die das Management vorschlägt, sind natürlich ausgewählt, das wissen wir. Aber es gibt viele Wege, um an Informationen zu kommen. Wenn wir bei einem Partner sind und es sitzen KundInnen im Büro, dann gehen wir auf sie zu. Oder ich setze mich einfach in eine Filiale einer Mikrofinanzinstitution und versuche, mit den KundInnen ins Gespräch zu kommen. Dasselbe machen wir auch bei landwirtschaftlichen Partnern, wo wir die BäuerInnen treffen, wenn sie ihre Ernte abliefern oder das Büro des Partners aufsuchen.

TeilnehmerInnen eines Workshops im Rahmen von Oikocredits Beratungs- und Schulungsprogramm zur Steuerung von Preisrisiken in Peru.

Was ist für euch soziale Wirkung?

Yolirruth Nuñez: Soziale Wirkung zielt bei Oikocredit auf die Verbesserung von Lebensqualität. Und Lebensqualität ist nicht nur eine wirtschaftliche Frage, es geht auch um Partizipation und darum, Entscheidungen treffen zu können. Frauen beispielsweise, die Männern bei der Arbeit im Feld helfen, denken oft nicht, dass sie einen Job machen. Wenn diese Frauen bei Trainings in der Zusammenarbeit mit uns erkennen, dass das, was sie tun, ihre Arbeit ist, ändert das viel. Wir fordern die Kooperativen unermüdlich dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass mehr Frauen sich beteiligen. Manchmal ist es so simpel. Wir schlugen vor, einen Babysitter für die Schulungen zu organisieren. Die Frauen konnten mitmachen und das taten sie auch. Das ist für mich messbare soziale Wirkung.

Kawien Ziedses des Plantes: Erfolg zeigt sich für mich nicht nur auf der wirtschaftlichen Ebene. Beim FALS-Programm („Financial Action Learning System“) haben mehrere TeilnehmerInnen gesagt: „Mich hat noch nie im Leben jemand gefragt, was ich will.“ Wenn Menschen erkennen, dass sie das Recht haben zu sagen, was sie wollen, hat das soziale Wirkung. Das Beispiel, von dem ich rede, war ein Pilotprojekt mit zwei Mikrofinanzorganisationen in den Philippinen. Beide Partner haben gesagt: Wenn ihr als Oikocredit nicht weitermachen könnt, dann machen wir das auf eigene Faust.

Wie ist die Zusammenarbeit mit ExpertInnen und TrainerInnen im Capacity Building? Habt ihr für eure Programme besondere Anforderungen?

Yolirruth Nuñez: Besonders was das methodische Vorgehen anbetrifft, haben wir schon häufiger selber Schulungen für TrainerInnen machen müssen. Beim Programm zur Steuerung von Preisrisiken (Price Risk Management) haben wir für die methodische Herangehensweise eigens jemanden verpflichtet. Wissen genügt nicht. Wir wollen BeraterInnen, die offen dafür sind, sich mit Methoden der Vermittlung auseinanderzusetzen. Das ist gar nicht selbstverständlich. Wir wollen keine Leute, die herablassend auftreten, sagen, hier komme ich, ich bin der Experte. Capacity Building läuft nicht eingleisig. Die KundInnen von Mikrofinanzinstitutionen oder die BäuerInnen haben ihre eigene Expertise, die sie mit einbringen sollen.

Workshop-Teilnehmer während eines Trainings zur Steuerung von Preisrisiken in Peru.

Impact Investing ist heute Mainstream. Was macht Oikocredit anders?

Ging Ledesma: Viele unserer Mitbewerber haben inzwischen realisiert, dass Capacity Building für die soziale Wirkung wichtig ist. Als wir vor über 40 Jahren damit anfingen, war das noch gar kein Thema. Alle Welt nennt das, was sie machen, Impact Investment. Irgendeine Wirkung gibt es ja immer. Was wir machen, ist vom Mainstream weit entfernt.

Kawien Ziedses des Plantes: Ich kenne mich ganz gut aus in der Szene, in der wir uns bewegen. Ich kann aus Erfahrung sagen, dass wir weit mehr als andere Organisationen machen; besonders mit der Art, wie wir die ESG Scorecard beispielsweise und die sozialen Ziele in unsere komplette Arbeit integriert haben und in das Prüfverfahren für neue Partner. Aber: Wir sind nicht perfekt. Auch wir machen Fehler und müssen daraus lernen, um unsere Arbeit immer weiter zu verbessern.

Den Einwurf, dass Oikocredit zu wenig sichtbar sei im Umgang mit den Erfolgen der eigenen Praxis, hören wir häufiger. Warum ist es so schwierig zu zeigen, was Oikocredit gemacht hat und macht?

Kawien Ziedses des Plantes: Alle drei Monate bekomme ich einen vollständigen Bericht über ein Capacity Building-Programm, das wir abgeschlossen haben. Wir freuen uns, arbeiten weiter, und das war’s. Wir haben zu tun. Es ist durchaus so, dass man, wenn SprecherInnen gebraucht werden, auf Oikocredit zukommt. Wenn wir es zeitlich irgendwie schaffen, machen wir das. Aber wir müssen uns auch fragen, was nützt es den Partnern? Es ist irgendwie in unserer DNA zu denken, alle Ressourcen müssen in die Arbeit gesteckt werden. Wir fühlen uns sehr den Partnern verpflichtet.

Wenn ihr sagt, heute ist Mainstream, was Oikocredit schon seit langem macht: Was von dem, was ihr heute macht, könnte in ein paar Jahren Mainstream werden?

Kawien Ziedses des Plantes: Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung im Finanzgeschäft wirklich soziale Angebote zu entwickeln: Darin sehe ich eine große Aufgabe. Man muss sorgsam sein, es ist eine echte Herausforderung, Zugang zu schnellen Krediten übers Smartphone sozial zu machen und gute Partner zu finden.

Ging Ledesma: Der zweite Bereich ist die Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen. KMU sind enorm wichtig für die Wirtschaft der Länder. Wenn es uns gelingt, bei den kleinen und mittleren Unternehmen, die wir mittelbar und unmittelbar unterstützen, hohe soziale Standards zu etablieren, fördern wir echten sozialen Wandel. Dazu gehört, dass Steuern gezahlt werden und Gewinne mit den Beschäftigten geteilt werden, dass Geschlechtergerechtigkeit, faire Bezahlung, gute Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen, Sicherheit und Gesundheit gewährleistet sind.

Kawien Ziedses des Plantes: Diese Arbeit ist eigentlich unendlich, man könnte immer mehr und immer weitermachen, um die soziale Wirkung zu verbessern. Letztendlich ist auch das eine Frage des Geldes. Es bleibt immer die Spannung, die schon in der Bezeichnung für Oikocredit sichtbar ist. Wir sind eine finanzielle Institution und eine Entwicklungsorganisation. Aber alles ist gut, solange die Spannung weiterbesteht.

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