Interview zum Jahresergebnis 2020: Schnelles Handeln sicherte die Ergebnisse

Interview zum Jahresergebnis 2020: Schnelles Handeln sicherte die Ergebnisse

Mirjam 't Lam-Jet van Gaal.jpg06. April 2021

Mirjam ’t Lam, Direktorin für Finanzen und Risikomanagement bei Oikocredit International, gibt einen Überblick über die Finanzergebnisse und teilt ihre ersten Eindrücke bei Dienstantritt mitten in der Corona-Krise.

Wie hat sich die Pandemie auf die Finanzergebnisse von Oikocredit im Jahr 2020 ausgewirkt?

Mirjam ’t Lam: 2020 war durch den Pandemie-Ausbruch und die Folgen ein schwieriges Jahr, auch für Oikocredit. Die Genossenschaft musste Anfang des Jahres mit Blick auf die Pandemie über eine Geschäftsstrategie entscheiden, ohne zu wissen, wie sich die Lage entwickeln würde. 

Beispielsweise hat Oikocredit beschlossen, zunächst keine neuen Partnerorganisationen zu finanzieren und sich in der ersten Jahreshälfte auf die Unterstützung aktueller Partner konzentriert. Die haben sich dadurch als sehr resilient erwiesen. Trotzdem ist der Wert des Portfolios insgesamt um über 20 Prozent zurückgegangen. Wir sehen zugleich, dass die Länder, in denen wir aktiv sind, erhebliche Unterstützung beim Wiederaufbau der Wirtschaft brauchen. Darauf bereiten wir uns momentan vor.

Damit wir in und nach der Krise gut weiterarbeiten können, haben wir ausreichend Liquidität vorgehalten. Wir wollen beides: das Kapital unserer AnlegerInnen schützen und gleichzeitig unseren Partnern die bestmögliche Unterstützung geben. Wir haben unser Monitoring verschärft und strengere Richtlinien eingeführt – und alles getan, um die Qualität unseres Portfolios zu erhalten.

Was bedeutet das für das Nettoergebnis von Oikocredit?

Die gesamte Situation und die erforderlichen Entscheidungen haben unser Nettoergebnis belastet. Hinzu kam ein Währungsverlust von 11 Millionen Euro. Er ist zum Teil eine Folge der kontinuierlichen Aufwertung des Euro und, in geringerem Umfang, der Aufwertung des US-Dollar gegenüber Lokalwährungen, in denen wir viele unserer Kredite vergeben und Investments tätigen. Etwa die Hälfe unserer Kredite vergeben wir in lokaler Währung.

All dies führte 2020 zu einem Verlust von 22,2 Millionen Euro. Deshalb hat die Geschäftsführung von Oikocredit International mit Unterstützung des Aufsichtsrats vorgeschlagen, für 2020 keine Dividende auszuschütten.

Oikocredit hat genügend Rücklagen, um den Verlust aufzufangen. Der Nettoinventarwert je Anteil ist noch immer höher als bei der Ausgabe. Die stabile Kapitalbasis und unsere Liquidität versetzen Oikocredit in die Lage, weiter Anteile bzw. Genossenschaftsanteils-Zertifikate auszugeben und zurückzunehmen – und zugleich das Portfolio nachhaltig wieder aufzubauen.

Welche Entscheidungen von Oikocredit haben Sie im letzten Jahr beeindruckt?

Als ich im November 2020 begonnen habe, für die Genossenschaft zu arbeiten, hat mich vor allem die Weitsicht beeindruckt. Aus finanzieller Sicht hat Oikocredit meiner Meinung nach schon früh die richtigen Entscheidungen getroffen. Die Genossenschaft hat nicht nur darauf geachtet, ihre eigene finanzielle Situation zu sichern, sondern auch die der Partner und deren soziale Wirkung.

Sofort zu Beginn der Pandemie hat Oikocredit im Austausch mit den MitarbeiterInnen vor Ort und den Partnern geprüft, mit welchen Instrumenten wir am wirkungsvollsten helfen können und schnell gehandelt. Wir haben beispielsweise Zahlungsaufschub gewährt, die Beratung intensiviert, Online-Seminare organisiert und den Coronavirus-Solidaritätsfonds ins Leben gerufen, um unsere Partnerorganisationen in der Krise zu unterstützen. Einzelheiten zu den Maßnahmen finden Sie im Bereich „Coronavirus“ auf unserer Website.

Beeindruckt hat mich auch die Art und Weise, wie Oikocredit ihre AnlegerInnen und Mitglieder informiert. Die Genossenschaft hat von Anfang an offen kommuniziert, dass die Pandemie Auswirkungen auf ihre Arbeit haben würde und wie dem begegnet wird. Dadurch, dass wir uns darauf konzentriert haben, die Liquidität zu erhalten, sind wir alle gemeinsam – mit AnlegerInnen und Partnerorganisationen – bisher recht gut durch die Krise gekommen. Das bei Oikocredit investierte Kapital ist 2020 stabil geblieben – ein Beleg für die Loyalität unserer Investorenbasis. Die AnlegerInnen haben entschieden, diesen Sturm zusammen mit uns zu durchzustehen. Unsere Partner arbeiten hart, damit wirtschaftlich benachteiligte Menschen ihre Lebensbedingungen auch in diesen widrigen Zeiten verbessern können. Die Partner brauchen dabei Unterstützung, gerade jetzt.

Reichen die Maßnahmen, die Sie bisher ergriffen haben, aus? Muss noch mehr getan werden?

Mit Stand von heute gehe ich davon aus, dass keine weiteren Maßnahmen notwendig sein werden. Aber wir müssen weiter achtsam sein, engen Kontakt zu unseren Partnern und unseren Mitgliedern und AnlegerInnen pflegen, gut informiert bleiben und gut informieren. Wir stehen Seite an Seite mit unseren bestehenden Partnern. Zugleich halten wir aber inzwischen auch wieder Ausschau nach neuen Partnerorganisationen und Projekten. Es ist ja unser Auftrag, das uns anvertraute Kapital sozial und wirtschaftlich nachhaltig anzulegen.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf unsere Partner und auf die AnlegerInnen?

Die Folgen für die Partner sind unterschiedlich, je nach Sektor, in dem sie aktiv sind. Landwirtschaft und erneuerbare Energien sind bisher weniger stark betroffen als das inklusive Finanzwesen. Am schlimmsten hat es kleinere und mittlere Unternehmen getroffen. Grundsätzlich bemerken wir, dass die Nachfrage nach Darlehen nachlässt, weil unsere Partnerorganisationen genauso vorsichtig sind wie wir. Deshalb müssen wir ihre Anforderungen und ihr Umfeld im Blick behalten – und helfen, wo immer es nötig ist.

Wir wissen, dass die Pandemie alle belastet, auch unsere AnlegerInnen. Die allermeisten von ihnen sind uns treu geblieben, haben sich in diesem unglaublich schwierigen Jahr nicht abgewendet. Das werten wir als ermutigendes Zeichen großer Solidarität und als Ansporn.

Die Pandemie ist noch nicht vorüber. Wie geht Oikocredit weiter vor?

Bislang weiß man noch nicht, welche Folgen die Pandemie am Ende haben wird. Trotz der zahlreichen Unsicherheiten machen wir Pläne. In engem Kontakt mit unseren Partnerorganisationen versuchen wir herauszufinden, wie wir dazu beitragen können, dass sie ihre Zielgruppen, Menschen mit niedrigem Einkommen, langfristig stärken. Wir wollen ihnen helfen, die Auswirkungen der Pandemie zu meistern und stabiler zu werden. Das ist auch Teil unserer neuen Strategie für die Jahre 2022 bis 2026.

Wie lange wird es dauern, bis sich Oikocredit von den finanziellen Herausforderungen im Zusammenhang mit Covid-19 erholt hat?

2021 werden die Folgen der Pandemie noch spürbar sein, aber nicht mehr so gravierend wie 2020. Außerdem können wir jetzt besser abschätzen, welche Folgen die Pandemie für die Wirtschaft hatte. Mit angemessenen Rücklagen und angesichts der Anzeichen für eine Erholung des Entwicklungsfinanzierungs-Portfolios gehen wir davon aus, dass wir 2021 wieder einen, wenn auch kleinen, Gewinn erzielen. Ich sage „kleinen“, weil sich durch den starken Rückgang dieses Portfolios unsere laufenden Einnahmen verringert haben. Wenn das Portfolio 2021 auf seinen Ausgangswert steigt, werden wir 2022 wieder auf einem guten Weg sein. 

Was hat Ihnen in diesen besonderen Zeiten Mut gegeben?

Die Leidenschaft und die Empathie der Menschen im gesamten Oikocredit-Netzwerk und alles, was Oikocredit tut, um seine Partner zu unterstützen, haben mich sehr ermutigt und motiviert. Egal, mit wem Sie bei Oikocredit sprechen, Mitgliedern, Menschen in Förderkreisen, MitarbeiterInnen im Investment, im Kreditvergabebereich oder in regionalen Büros, Partnern – alle irgendwie Beteiligten sind sich darin einig, dass die Arbeit von Oikocredit sinnvoll und wichtig ist.

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