„Ich habe keine Angst mehr“: die Stärkung von Frauen unterstützen

Christina (Nina) Alff vom Oikocredit-Förderkreis Baden-Württemberg teilt ihre Gedanken zum Thema „Stärkung von Frauen“.
Anlässlich des Internationalen Frauentags haben wir Christina (Nina) Alff vom Oikocredit-Förderkreis Baden-Württemberg gebeten, ihre Gedanken zum Thema „Stärkung von Frauen“ (Women‘s Empowerment) zu teilen. Nina nutzt ihr Fachwissen dafür, das Bewusstsein für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu schärfen und erklärt, wie dieses Thema mit der Arbeit von Oikocredit zusammenhängt.
„Empowerment“ ist so ein breiter Begriff und daher ist es nicht einfach zu klären, was Empowerment genau bedeutet. Wenn wir über Empowerment von Frauen sprechen, ist es aber wichtig genau zu definieren, was wir damit meinen. Meiner Meinung nach ist eine der besten Definitionen jene von Naila Kabeer (1999), einer bekannten Wissenschaftlerin und Entwicklungsexpertin aus Bangladesch. Sie betont, „dass es bei Empowerment von Frauen um den Prozess geht, durch den diejenigen, denen die Fähigkeit, strategische Lebensentscheidungen zu treffen, vorenthalten wurde, diese Fähigkeit bekommen.“ Kurz gesagt: Empowerment beinhaltet einen Veränderungsprozess.
Was sind strategische Lebensentscheidungen?
Können Sie sich vorstellen, dass Sie nicht entscheiden dürfen, mit wem und wo Sie leben wollen, ob Sie Kinder haben oder ob Sie ein Geschäft eröffnen möchten – obwohl Sie das selbst entscheiden könnten? In den privilegierten Ländern des Globalen Nordens können die meisten Mädchen und Frauen strategische Lebensentscheidungen treffen. In vielen Ländern werden Mädchen und Frauen diese Menschenrechte aber immer noch verwehrt. UNICEF schätzt, dass jedes Jahr zwölf Millionen Mädchen Kinderehen eingehen. Die meisten dieser Mädchen müssen einen Mann heiraten, den sie nicht einmal kennen, weil ihre Eltern diese Entscheidung für sie getroffen haben.
Wenn wir von Wahlmöglichkeiten sprechen, impliziert das, dass Frauen mehrere Optionen haben und die Fähigkeit, aus diesen zu wählen. Die Fähigkeit, strategische Lebensentscheidungen zu treffen, erfordert drei miteinander verknüpfte Dimensionen:
1) Der Zugang zu Ressourcen im Sinne von materiellen Ressourcen (z.B. Finanzdienstleistungen, Land, Maschinen), menschlichen Ressourcen (z.B. Bildung, Schulungen, Information) und sozialen Ressourcen (z.B. Netzwerke, Kreditgruppen, Kooperativen).
2) Entscheidungsmacht zu haben über die Nutzung von Ressourcen, Verhandlungsmacht in Familien, Gemeinschaften und der Gesellschaft
3) die Errungenschaften der geleisteten Arbeit nutzen zu können
Empowerment von marginalisierten Gruppen
Das Empowerment marginalisierter Gruppen und Individuen ist ein Prozess, der sich darauf konzentriert, Machtverhältnisse in Frage zu stellen, um mehr Gleichberechtigung zu erreichen. Wenn eine Gruppe oder eine Person ermächtigt wird, könnte man meinen, dass dies gleichzeitig bedeutet, dass andere Gruppen oder Personen entmachtet werden. Stimmt das so? Nicht immer. Wenn Frauen zum Beispiel ihr eigenes Einkommen in den Haushalt einbringen, profitieren die Männer ebenso. Wenn Frauen in Unternehmen Entscheidungsgewalt haben, steigert das meist die Effizienz der Prozesse.
Wenn hingegen Landreformen zugunsten landloser TagelöhnerInnen durchgeführt werden, verlieren Großgrundbesitzer Macht, Einfluss und wahrscheinlich Gewinne.
Wenn wir über das Empowerment von Frauen sprechen, sollten wir die vielfältigen und oft miteinander verknüpften Dimensionen des Empowerments sorgfältig differenzieren. Sprechen wir von persönlicher, wirtschaftlicher, politischer, sozialer oder rechtlicher Ermächtigung?
Wie unterstützt Oikocredit die Stärkung von Frauen?
Oikocredit unterstützt die wirtschaftliche Selbstbestimmung von Frauen in erster Linie durch den Zugang zu fairen Krediten sowie durch Beratung und Schulungen. Viele Partnerorganisationen von Oikocredit tragen zur persönlichen Stärkung von Frauen bei, indem sie Schulungen zu Verhandlungs- und Marketingfähigkeiten anbieten oder Informationen zu Menschenrechtsfragen vermitteln.
„Ich habe keine Angst mehr“
Ich werde nie die Geschichte einer erfolgreichen Schneiderin und Kundin eines ehemaligen Oikocredit-Partners vergessen, die ich in Lima (Peru) getroffen habe. Nach der Gründung ihrer Schneiderei investierte sie Kredite in moderne Nähmaschinen und konnte dadurch ihren Kundenstamm stetig erweitern. So konnte sie ein Haus bauen und ihren Töchtern eine Universitätsausbildung ermöglichen. Was mich aber wirklich beeindruckte, war ihre Erzählung über einen Workshop der damaligen Oikocredit-Partnerorganisation zum Thema „Menschen- und Frauenrechte“. Dort hörte sie zum ersten Mal in ihrem Leben, dass es in Peru ein Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt gibt. „Unsere Männer trinken manchmal zu viel und dann beleidigen sie uns oder werden übergriffig. Das ist nicht in Ordnung. Wir haben gelernt, ‚Nein‘ zu sagen, wenn Männer gewalttätig werden.“ Stolz und mit großem Selbstbewusstsein sagt sie auch, dass sie keine Angst mehr hat und ihre Anliegen in ihrer Familie durchsetzt. Sie wurde zur Aktivistin für die Rechte von Frauen!
Das ist individuelles Empowerment in der effektivsten Form. Indem sie sich im Haushalt durchsetzt, ist sie ihren Töchtern und Söhnen ein entsprechendes Vorbild. Wahrscheinlich wird sie auch ihren FreundInnen davon berichten und andere in ihrer Gemeinschaft dazu ermutigen etwas gegen Ungerechtigkeit zu tun.
Finanzielle Inklusion kann der erste Schritt sein.
Finanziell unabhängig zu sein ist ein wichtiger Schritt in Richtung Empowerment. Dabei spielen die Oikocredit-Partnerorganisationen eine wichtige Rolle. Wenn darüber hinaus Workshops zu Frauenrechten, Gesetzgebung und Führungsqualitäten gehalten werden, gewinnen die Frauen Wissen, Fähigkeiten und Selbstvertrauen, um über mögliche strategische Lebensentscheidungen nachzudenken.
Dr. Christina Alff ist seit 2013 beim Oikocredit-Förderkreis Baden-Württemberg tätig. Sie ist zuständig für Globale Bildung und Lernen für Mitglieder und AnlegerInnen. Sie hält Vorträge, leitet Workshops und nimmt an Podiumsdiskussionen zu nachhaltigem Finanzwesen, ethischen Geldanlagen und entwicklungspolitischen Themen wie fairem Handel und Gleichberechtigung teil. Den Rest ihrer Arbeitszeit widmet sie Gender-Beratungen und Gender-Trainings für internationale Entwicklungsorganisationen.
Archiv > 2021 > März
- 30. März 2021 - Jahresergebnis 2020 von Oikocredit International: Ausdruck von Resilienz und Solidarität
- 30. März 2021 - Vierter Quartalsbericht 2020: Unsere Belastbarkeit bewiesen
- 25. März 2021 - Österreichweite Poster-Ausstellung „Faires Geld macht stark"
- 18. März 2021 - Veränderungen in der Oikocredit-Geschäftsführung
- 16. März 2021 - „Ich habe keine Angst mehr“: die Stärkung von Frauen unterstützen
- 08. März 2021 - Frauen bei Oikocredit stärken Frauen